Ullstein und Black Star

Interview mit Prof. Christian Joschke | Beaux-Arts de Paris

Interview mit Prof. Christian Joschke, Dozent Beaux-Arts de Paris, zur fotografischen Sammlung Ullstein bei ullstein bild Berlin und zur Fotoagentur Black Star New York, heute Toronto

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Herr Joschke, seit 2020 lehren Sie an der Kunstakademie in Paris (Beaux-Arts de Paris), haben im Sommersemester 2023 als Rudolf Arnheim Gastprofessor der Humboldt-Universität zu Berlin unterrichtet und waren mit ihren Studentinnen und Studenten auch zu Gast in der fotografischen Sammlung Ullstein bei ullstein bild. Hier haben wir gemeinsam eine Reihe von Originalfotografien betrachtet und besprochen, im Mittelpunkt standen die Werke der 1920er Jahre bei Ullstein, die einen weltweit einzigartigen Sammlungsschwerpunkt bilden. Martin Munkácsi, Yva, Suse Byk, Madame d’Ora, Willi Ruge, Robert Sennecke und viele andere wichtige Bildautoren sind mit ihren Werken vertreten und vermitteln ein facettenreiches Panorama der Weimarer Republik. In mehreren Forschungsarbeiten, nicht zuletzt in Ihrer Habilitation, haben Sie sich mit dieser Schaffenszeit innerhalb der Fotografiegeschichte beschäftigt. Welche Aspekte haben Sie dabei besonders in den Blick genommen und warum?

Die Geschichte der Pressefotografie wurde in den 1970er bis 1990er Jahren häufig mit den wichtigen Namen der Fotoreportage verbunden. Robert Capa, Henri Cartier-Bresson, Raymond Depardon in Frankreich, Eugene Smith in den USA, Umbo in Deutschland. Diese Fotografen waren in vieler Hinsicht mit „Heldentaten“ der modernen Pressefotografie verbunden. Capa in Spanien, Henri Cartier-Bresson in China usw. Die Aufmerksamkeit der HistorikerInnen hat sich also auf Personen gerichtet. Diese Herangehensweise wurde dennoch später in Frage gestellt. Welche Rolle spielten die Strukturen der Pressefotografie und die anderen Akteure? Diethard Kerbs hat in Berlin einen erheblichen Beitrag geleistet. Er hat Fragen zur Strukturgeschichte der Pressefotografie beantwortet, die auf eine Sozialgeschichte der Fotografie hinaus zielen. Agenturen, Technik, Rhythmus und Zeitlichkeit der Verbreitung der Bilder, Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen in den Agenturen: das waren Fragen, die den Blick der HistorikerInnen stark geprägt haben. Ich denke an Herbert Molderings, Rolf Sachsse, Annette Vowinckel, Estelle Blaschke, Sie selbst und Enno Kaufhold in den letzten Ausstellungen zur Pressefotografie, und nicht zuletzt Wolfgang Hesse. In den letzten zwanzig Jahren hat sich auch in Frankreich und in den USA der Blick geschärft. Vanessa Schwarz, Thierry Gervais und Gaëlle Morel, Jason Hill, Jordan Baer, Andres Mario Zervigon haben dazu beigetragen, weg von der Hagiografie eine Geschichte der fotografischen Praxis im sozialen und politischen Kontext zu schreiben.

Auf die neuere Geschichtsschreibung habe ich mich gestützt, um materielle Aspekte in den Blick zu nehmen. Es ist wichtig, die Fotos in den Archiven nicht nur für ihre visuelle Qualität zu bewerten, sondern auch im physischen Sinne umzudrehen, um Informationen zu den Fotografen, Agenturen, und Medien anzusammeln. Man erfährt dabei sehr viel über das „soziale Leben“ der Bilder. Die Sammlung Ullstein ist in dieser Hinsicht eine einmalige Ressource für die Forschung. Sie enthält nicht nur Schätze, sondern auch eine Masse von Bildern, die über die Arbeit der Fotografen und Mitglieder der Agentur vieles sagt. Mit den Studierenden haben wir, dank Ihrer freundlichen Einführung, einen Einblick in vielen Aspekte der Geschichte der Fotografie in der Weimarer Republik genommen.

Die ursprüngliche, strukturelle Ordnung einer fotografischen Sammlung wie Ullstein nach Bildthemen – nicht nach den Namen der Bildautoren – steht der mitunter üblichen Betrachtung von Historikern und Museen konträr gegenüber. Was assoziieren Sie mit dieser Gegenüberstellung?

Den Agenturen war es wichtig, schnell zu Motiven zugreifen zu können, gemäß der Nachfrage von Magazinen oder Verlegern. Sämtliche Fotosammlungen waren also nach Bildthemen geordnet. Die Fotoforschung hat es aber anders im Blick. Zum ersten, weil FotohistorikerInnen eine biografische Struktur im Blick hatten. Es sollten Fotos nach Namen recherchiert werden. Die Ordnung nach Bildthemen ist insofern ein Hindernis, als sie diese Recherche nach Namen kompliziert macht. Man muss die Register einsehen, oder sogar den Briefaustausch mit den jeweiligen FotografInnen. Zum anderen interessieren sich ForscherInnen für die Provenienz und für das Zirkulieren der Fotos von einer Agentur zur Anderen. Da spielen die zeitgenössischen Notizen, die auf der Rückseite der Bilder stehen, eine große Rolle. Interessant ist, wie ein Motiv in verschiedenen Kontexten rezipiert wurde.

Ihr aktueller Beitrag in der Publikation Facing Black Star, Toronto, Cambridge (Mass.), 2023, geht zurück auf einen Forschungsaufenthalt in Toronto, hier findet sich der Bestand von Black Star – der Fotoagentur, die 1935 im Exil in New York von drei ehemaligen Ullstein-Protagonisten gegründet wurde: Kurt Safranski, Kurt Kornfeld, Ernest Mayer. Welche Erfahrungen haben Sie im Umgang mit dieser Sammlung gemacht?

In Toronto habe ich mich für einen Teil der Sammlung Black Star interessiert, der die Ereignisse in der Weimarer Republik schildert. Ich wollte wissen, wie deutsche Zeitgeschichte in den USA bildlich wahrgenommen wurde, welche Motive im Vordergrund stehen, wie sie beschrieben wurden und in welchem Kontext sie abgebildet waren. Dabei wurde mir klar, dass viele dieser Bilder aus Deutschland von Emigranten mitgebracht wurden. Bei diesem „kulturellen Transfer“ wurde nur ein Teil der Geschichte vermittelt. Sobald diese Bilder im US-amerikanischen Kontext landen, ist der Blick auf die deutsche Geschichte anders. Es wird zum Beispiel ein direkter Bezug zwischen der Inflation von 1923 und Spartakus in Berlin in den englischsprachigen Bildlegenden vermutet, obwohl beide mehr als vier Jahre auseinander liegen. Bildeditoren hatten keine so feine Kenntnis der deutschen Geschichte, und Mitte der 1930er Jahre betrachtete man die Weimarer Republik als ein Chaos, das entscheidend zum Aufstieg von Hitler beigetragen hat.

Ihre Untersuchungen zu dem Einzelbestand Max Pohly bei Black Star erlauben neue biografische und zeitgeschichtliche Einblicke, welche würden Sie als die wichtigsten Erkenntnisse benennen?

Ein großer Teil dieser Bilder war tatsächlich mit dem Namen Max Pohly verbunden, der in der Fotogeschichte unbekannt ist. In einigen neueren Publikationen zum Ersten Weltkrieg wurde er als Fotograf während des Ersten Weltkriegs bezeichnet. Sieht man aber die Motive, die er angeblich fotografiert hat, so wird einem klar, dass es sich um Bilder unterschiedlicher Fotografen handelt, die später mit dem Stempel „Max Pohly“ gekennzeichnet wurden. Die Rückseiten der Bilder zeigen ganz deutlich die Provenienz der Bilder (Bufa, Sennecke, Postkarten usw.). Meine Forschung zeigt, dass er eher ein unabhängiger Bildeditor war, der in die USA 1937 mit einem Koffer voller Bilder zusammen mit seiner Frau emigrierte. Als Fotohistoriker muss man also von der Idee Abschied nehmen, der Name auf der Rückseite sei unbedingt der Autor des Bildes. Was aber noch erstaunlicher ist, ist dass Pohly in Deutschland für zwei NS-Publikationen gearbeitet hatte (So war es! Ein Bildbericht vom wehrhaften Deutschland, 1914-1918 und So kam es! Ein Bildbericht vom Kampf um Deutschland, 1918-1934), und gerade diese Bilder nach Amerika gebracht hat. Daher war die Vermittlung der deutschen Geschichte stark von einem konservativen Blickwinkel geprägt, in dem die Weimarer Republik als Chaos geschildert wird. Das war sicherlich seitens Pohly kein ideologisches Unternehmen, aber die Bilder, die er Black Star verkauft (oder geliehen) hat, waren von diesem Diskurs geprägt. Das sieht man in der Auswahl und in den Bildlegenden.

Was zeichnet, generell gesehen, die Pressefotografie der Weimarer Republik im Vergleich zu anderen Zeitabschnitten oder Ländern aus?

Die Bildpublizistik der Weimarer Republik war in der Zwischenkriegszeit ein Vorbild für die meisten Länder, nicht nur wegen der vorzüglichen Bildqualität der Fotos, sondern auch wegen der Struktur der Agenturen, und der vorbildlichen Kompetenz der Mitarbeiter. Dieses Wissen wurde z.B. in Frankreich sehr gepreist und einige der wichtigsten FotografInnen, die in Paris tätig waren, kamen aus Deutschland – oder aus anderen Ländern in Europa, über Deutschland. Robert Capa hatte in der Agentur Dephot angefangen, David Seymour (Chim) ist in Leipzig ausgebildet worden, Germaine Krull hatte in Deutschland angefangen und hat den Stil des Neuen Sehens nach Frankreich vermittelt. Lucien Vogel hatte die deutschen Magazine als Vorbild, als er VU in Frankreich 1928 gegründet hat. Er hat übrigens auch Bilder von Erich Salomon, Albert Renger-Patzsch, Germaine Krull und anderen deutschen Fotografen publiziert. In Deutschland hat die Gleichschaltung diese Welt völlig zerstört und Agenturen haben schnell auf Propaganda umgestellt. Dabei ist ein Stil der Pressefotografie der Weimarer Republik endgültig verloren gegangen – und das Leben vieler FotografInnen zerstört worden. 

Womit werden Sie sich bei Ihren zukünftigen Arbeiten zur Fotografiegeschichte beschäftigen?

Ich werde ein Buch zur Geschichte der Arbeiterfotografie in Deutschland (1926-1933) veröffentlichen. Das Buch geht auf eine langwierige Forschung zurück, die ich in den letzten Jahren geführt habe. Ich habe das Glück, im Austausch mit Wolfgang Hesse, Andres Mario Zervigon, Kasper Brasken und anderen Kollegen über dieses Thema zu sein, was mir große Freude bringt. Das Buch erscheint bei Macula (Paris) auf Französisch unter dem Titel Die aufgehobene Revolution. Fotografie und kommunistische Presse der Weimarer Republik.

Vielen Dank, Herr Joschke, für dieses Gespräch!

 

Das Interview führte Dr. Katrin Bomhoff, ullstein bild collection.

Erstveröffentlichung am 08. Dezember 2023.

In der Galerie sehen Sie eine Bildauswahl zu unserem Thema, das entsprechende Dossier finden Sie bei ullstein bild.

Kontakt

Dr. Katrin
Bomhoff
Senior Manager Asset & Exhibition
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Foto (c): Barbara Herrenkind
Prof. Christian
Joschke
Dozent Beaux-Arts de Paris