D’ORA PARIS

„mehr als eine Photographin“ bei Ullstein in Berlin

Begleittext zur Photomappe Madame d’Ora (Dora Kallmus) Zeitschriftenphotographie von 1917-1929 bei Griffelkunst Hamburg

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Die Dame, eine der innovativsten Zeitschriften der 1920er Jahre aus dem Ullstein-Verlag in Berlin, veranschaulicht den Kontext der Werke von Dora Kallmus – d’Ora Paris (1881-1963). Ganze Bildstrecken wären ohne ihre Photographien schwer vorstellbar. Porträt, Mode, Gesellschaft, Kunst und Kultur: die Bildthemen sind hochaktuell, einmalig gefertigt und erkennbar professionell. Eine Könnerin ihres Fachs trifft auf einen der größten Zeitschriften- und Zeitungsverlage Europas. Die Frage des Kontakts stellt sich angesichts einer über Jahre hinweg intensiven und erfolgreichen Zusammenarbeit der d’Ora mit dem Berliner Verlagshaus. Sicher ist, dass Madame d’Ora mit dem Ullstein-Chefredakteur Kurt Korff korrespondierte. [1] Denn nicht nur das eigene Atelier und richtungsweisende Ausstellungsbeteiligungen, auch die Publikationen in einer expandierenden Zeitungs- und Zeitschriftenwelt waren für ihr Fortkommen und ihren Erfolg von großer Bedeutung.

Ullsteins Erstrecht – der direkte Weg zu d’Ora

In der Bildunterschrift einer Porträtphotographie der d’Ora von 1925 übt Die Dame demonstrative Zurückhaltung: Wo sonst ‚Ross und Reiter‘ klar benannt werden und die Leser und Leserinnen eindeutige Auskunft über den Bildinhalt vorfinden, steht hier lediglich abgekürzt: „Frau M. U. (Wien), Aufnahme: d’Ora.“ [2] Kein weiterer Begleittext erläutert oder kommentiert die fast ganzseitige Abbildung. Die Rückseite der Originalphotographie von Madame d’Ora, damalige Druckvorlage und heute Teil der photographischen Sammlung Ullstein bei ullstein bild, gibt sich zum Glück gesprächiger. Hier findet sich die entscheidende handschriftliche Notiz: „Madame d’Ora, Frau Karl Ullstein, Maria Ullstein, Dame 21, 1925“. [3] Dazu der Stempel der Photographin mit der Wiener Anschrift ihres Ateliers in der Wipplingerstraße 24. Die Aufnahme zeigt demnach die Ehefrau des Verlegers Karl Ullstein. Eine der zeitgenössischen Spuren, die auf direktem Weg von der Photographin zum Ullstein-Verlag führen. [4]

Die Rückseiten der Originalphotographien zur vorliegenden Edition sprechen ebenfalls von der Zusammenarbeit und von den redaktionellen Abläufen bei Ullstein. Die Porträtaufnahme der dänischen Tänzerin Rigmor Rasmussen, 1926 veröffentlicht im Uhu, trägt den Stempel von Madame d’Ora mit der Wiener Adresse ihres Ateliers, darüber hinaus produktionstechnische Notizen des Ullstein-Verlags und den Vermerk „Mit Erstrecht für Uhu“. Dieses Erstrecht der Nutzung für die Zeitschrift Uhu zeugt von der Bedeutung der Exklusivität für die Publikationen. Eine vergleichbare Anforderung ist in einem 1931 datierten Brief Kurt Korffs an den Ullstein-Photographen Dr. Ernst Salomon überliefert. In Vertretung für den urlaubsabwesenden künstlerischen Direktor Kurt Safranski richtete Korff mahnende Worte an Salomon, einen der gefragtesten Photographen seiner Zeit, der zu diesem Zeitpunkt durch die U.S.A. reiste: „Sie vergessen immer, sehr geehrter Herr Doktor, dass Sie einen Vertrag mit uns geschlossen haben, nach dem Sie uns alle Ihre Bilder vorlegen werden. Selbstverständlich müssen wir auch die Hearst-Bilder zuerst sehen.“ [5]

Ateliergründung und Verlust

Eine Persönlichkeit wie Madame d’Ora war sich ihrer Fähigkeiten bewusst und traf doch zu jedem Zeitpunkt ihrer Laufbahn auf große Hindernisse. Weder ihre Ausbildung ab 1904 als eine der ersten Frauen ihres Fachs, noch ihre Ateliergründungen verliefen auf ebenen Wegen. „Ob die jungen Photographinnen, welche heute in der Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt ein- und ausgehen, gleichberechtigt mit dem männlichen Geschlechte, wohl wissen, wie mühsam ich ihnen diesen Weg gebahnt habe?“ [6] schrieb sie rückblickend 1942. Nach den Anfängen in ihrer Heimatstadt Wien lernte sie in Berlin bei Nicola Perscheid, dessen Porträtphotographie nachhaltigen Einfluss auf ihre Werke ausübte. Zurück in Wien, gelang dort 1907 die erste Ateliergründung, und nach einer Reihe von arbeitsreichen Jahren schließlich 1925 der Schritt in die Metropole Paris. Die Stadt, von der sie stets wusste, sie „gehört wie ein Herz und Lungen in mein Buch und in mein Leben.“ [7] Diese Voraussetzung galt selbst unter den widrigsten Bedingungen, denn mit der Besetzung Frankreichs durch die nationalsozialistischen Machthaber verringerten sich die Möglichkeiten der jüdischen Photographin deutlich. In dieser erdrückenden Situation beendete Madame d’Ora die photographische Arbeit und verkaufte im Herbst 1940 ihr Atelier. Bereits ein Jahr zuvor musste ihre Schwester Anna sich von ihrem Haus in Frohnleiten in Österreich trennen. Einen gravierenden und schmerzhaften Einschnitt durchlebte d‘Ora mit der Deportation ihrer Schwester nach Lodz/Polen 1941 und der Ermordung durch die NS-Schergen. D’Ora flüchtete und verbrachte die nächsten Jahre im Exil in dem Bergdorf Lalouvesc in Südfrankreich, Ardèche. Dies bewahrte sie vor der Deportation, wenngleich in steter Sorge und Ungewissheit. 1945 kehrte sie zurück nach Paris. Ihre Themenwahl veränderte sich radikal: Es entstanden Bildmotive in den Schlachthöfen der Stadt und in den österreichischen Flüchtlingslagern, Photographien von großer Intensität. Erst später fand d’Ora zurück zur Porträtphotographie und zur Homestory, auch aus beruflichen, finanziellen Gründen. In ihrer letzten Einzelausstellung in der Galerie Montaigne in Paris 1958, eröffnet durch Jean Cocteau und mit mehr als einhundert gezeigten Photographien, konnten die Besucher und Besucherinnen das künstlerische und kontrastreiche Schaffen der d’Ora durch die Jahrzehnte nachvollziehen. Dora Kallmus starb am 30. Oktober 1963 in dem nach dem Krieg restituierten Haus ihrer Schwester in Frohnleiten in Österreich.

Ullsteins Hommage an eine Photographin

Zu den eindrücklichsten Photographien der Madame d’Ora gehört ihr Selbstporträt mit Katze von 1929. Die handschriftliche Signatur d’Ora Paris auf der Bildvorderseite geht einher mit einer regulären und klaren Forderung der Photographin zur Publikation, wie sie auf der Rückseite ihrer Photographie des Tänzerpaares Harald Kreutzberg und Yvonne Georgi festgehalten ist: „Toute photographie reproduite sans D’ORA PARIS est interdite.“ („Jede Reproduktion der Photographie ohne D’ORA Paris ist untersagt.“) Im Fall des Selbstporträts unterstreicht diese handschriftliche Signatur einmal mehr die Besonderheit einer singulären und überlegt komponierten Aufnahme. Und diese Besonderheit liegt auch dem redaktionellen Text in Ullsteins Zeitschrift Die Dame zugrunde. Als sei das Photo die Initialzündung für eine längst überfällige „Hymne“ auf die Photographin, vermittelt der – nicht genannte – Verfasser ein facettenreiches Bild ihrer Künstlerpersönlichkeit. Es scheint, als würde die unmittelbare Präsenz dieses Selbstporträts ihre Wirkung sukzessive im Text entfalten. Unter der schlagkräftigen Überschrift „Die D’Ora“ werden Themen ihrer künstlerischen Arbeit, ihre Lebensgewohnheiten und Assoziationen zur Schönheit und zum Schönheitsideal ihrer Zeit verortet. Wer hier schrieb, konnte zurückgreifen auf eine eingehende Betrachtung der Photographien d’Oras und auf die Begegnungen und Gespräche mit ihr. Ein Ergebnis dieser Kenntnis der Photographin und der Beschäftigung mit ihrem Werk steckt im Beginn des Textes und gipfelt schon hier in einer Hommage: „Diese d’Ora in Paris, die so schön die schönen Frauen photographiert, ist mehr als eine Photographin, sie ist ein geistvoller und guter Mensch. Auch ein mutiger Mensch. Wer es erlebt hat, wie die d’Ora vor wenigen Jahren ihr Atelier in Paris aufgebaut hat, gegen Wohnungsnot, Konkurrenz, Brotneid und alle die anderen kleinen und großen Aergernisse, die einem feinnervigen Geschöpf das Leben verderben können, der muß Achtung vor dieser zarten Frau haben. Man möchte sagen, sie ist tüchtig wie ein ganzer Kerl. Aber da sie das Wort tüchtig nicht ausstehen kann, muß man ein anderes Beiwort für sie suchen. Also etwa: sie ist ein Genie des guten Geschmacks.“ [8] Besser platziert hätte die Charakterisierung der Photographin kaum ausfallen können. Diese Art der gezielten Präsentation von Bildautorinnen und Bildautoren bei Ullstein verbindet sich stets mit ihrem Werk, ihrer Relevanz für den Verlag und einer gelungenen, mehrjährigen Zusammenarbeit.

Die Erfahrung einer außergewöhnlichen Begegnung spiegelt sich auch in Zusammenhang mit einer anderen Madame d’Ora-Photographie wider, die wiederum zu Ullstein führt. [9] Die handschriftliche Widmung auf der Porträtphotographie des französischen Modeschöpfers Jean-Claude d'Ahetze richtet sich an Kurt Korff, und hält nicht zurück mit Superlativen: „à Monsieur Korff, le plus grand Directeur du plus grand Journal, en toute sympathie, Jc. d’Ahetze Paris“. Die Photographie entstand um 1930, wenig später als das Selbstporträt der d’Ora und dessen Publikation bei Ullstein.

Paris und Berlin: Mode und Kritik

Für eine Zeitschrift wie Die Dame liegen die Bedeutung und der Reiz der Photographien von d’Ora nicht zuletzt in dem Personenkreis, den sie über ihr Atelier erreicht und in der Modephotographie, die sie mit einem hohen Grad an Aktualität und Exklusivität von Paris nach Berlin übermittelt. Von Kurt Korff dazu aufgefordert, verfasste sie redaktionelle Texte für Die Dame, und konnte auf diese Weise zum Beispiel ihrem Faible für Schmuck und Schmuckphotographie nachgehen. Dies zeigt sich in der Aufnahme der französischen Schauspielerin Arletty, später weithin bekannt durch ihre Hauptrolle der Garance in dem Film Les Enfants du paradis (Kinder des Olymp). Das Bild verbindet die Nahaufnahme der Schauspielerin mit dem Accessoire, einem Armreif, auf den in der Publikation explizit hingewiesen wird.

Bei aller Brillanz der Bildmotive findet d’Ora jedoch auch immer wieder kritische Worte für die Modebranche ihrer Zeit, ihre Wortwendung vom „modernen Sklavenmarkt“ [10] resultiert aus eigener Anschauung und Überzeugung. Im Jahr 1930 stellt die Redaktion der Dame „Eine Frage, die wir an unsere photographischen Mitarbeiter geschickt haben: Welche der Frauen, die Sie aufnahmen, erschien Ihnen als die Schönste?“ D’Ora trifft hierfür eine sprechende Auswahl: keine Photographie der zahlreichen Prominenten, die sie porträtiert hat, findet Eingang, keine Josephine Baker, keine La Jana, keine Gräfin Esterhazy oder Comtesse Kinsky schickt sie ins Rennen, sondern die Aufnahme eines Mannequins, einer unbekannten jungen Frau, von der sie abschließend schreibt: „Und Mme. T……s, deren Name wohl nur der Bäcker und der Grünzeughändler kennen, bei welchen du allmorgendlich deine kleinen Einkäufe besorgst, ist für mich die schönste Frau von Paris.“ [11] Spätere Reflexionen beschäftigen sich mit ihrer Wahrnehmung von Schönheit unter dem Aspekt des fehlenden Ausdrucks, und auch hier fällt ihr Urteil deutlich aus: „Der Vorhang ist immer aufgezogen und dahinter ist nichts. … Nichts betritt den Schauplatz, (was) die wohltrainierte Schönheit der jungen Gesichter stören könnte. Und nun ist noch etwas Sonderbares. Diese Jugend ist nicht jung, es ist ihnen nichts fremd; sie wissen alles, sie sind satt.“

Madame d’Ora hatte bei Ullstein wie auf dem gesamten Pressemarkt zahlreiche Mitbewerber. Hervorragende Photographen wie James E. Abbe, Mario von Bucovich oder E. O. Hoppé waren ebenfalls international, in Paris, London oder Berlin tätig. Auch sie waren bei Ullstein sehr gut vertreten und spezialisierten sich entsprechend. Trotz insgesamt stark gestiegener Chancen etwa seit Beginn des 20. Jahrhunderts bewegte sich Madame d’Ora in einem fordernden Umfeld und in einer arbeitsintensiven beruflichen Sparte. Ihr Erfolg und ihr Können gaben ihr nicht nur recht, sondern sind ablesbar an jeder einzelnen ihrer Photographien der Sammlung Ullstein in Berlin.

Dr. Katrin Bomhoff, Asset & Exhibition, ullstein bild / Axel Springer Syndication GmbH

Erstveröffentlichung am 29. April 2024.

In der Galerie sehen Sie eine Bildauswahl zu unserem Thema und auch im Fotodossier bei ullstein bild.

Weitere Infos zur Edition finden Sie auf der Website Griffelkunst.
 

[1] Machen Sie mich schön, Madame d’Ora – Dora Kallmus, Fotografin in Wien und Paris, 1907 – 1957, hrsg. von Monika Faber, Esther Ruelfs und Magdalena Vukovic, Wien 2017, S. 161

[2] Die Dame, Verlag Ullstein / Berlin, Heft 21, 1925, S. 11

[4] Zum Austausch zwischen dem Ehepaar Karl und Maria Ullstein und Kurt Safranski, wie zu vielen weiteren personellen, zeitgenössischen Zusammenhängen bei Ullstein s. Phoebe Kornfeld, Passionate Publishers – The Founders of the Black Star Agency, Bloomington 2021, S. 346/348

[5] Die Erfindung der Pressefotografie – Aus der Sammlung Ullstein 1894-1945, hrsg. von der Stiftung Deutsches Historisches Museum und der Axel Springer Syndication GmbH, Berlin 2017, S. 103

[6] Keine Bilder ohne Worte – Fotografinnen und Filmemacherinnen und ihre Texte, hrsg. von Susanne Gramatzki und Renate Kroll, Berlin 2021, S. 44

[7] Ebd., S. 45

[8] Die Dame, Verlag Ullstein / Berlin, Heft 15, 1929, S. 11

[10] Die Dame, Verlag Ullstein / Berlin, Heft 10, 1930, S. 7

[11] Ebd.

Kontakt

Dr. Katrin
Bomhoff
Senior Manager Asset & Exhibition
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