Liebermann und Ullstein am Wannsee
Interview mit Dr. Lucy Wasensteiner
Interview mit Dr. Lucy Wasensteiner, Direktorin der Liebermann-Villa am Wannsee in Berlin
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Die fotografische Sammlung Ullstein steht von März bis Juli 2023 im Mittelpunkt der Ausstellung Meeting Liebermann, die sich den Zusammentreffen Max Liebermanns mit Fotografinnen und Fotografen, Künstlern, Redakteuren, Schriftstellern widmet. Hierfür war der Ullstein-Verlag in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts ein entscheidender Mittler und Motor. Die Exponate sind nicht nur fotohistorisch von Bedeutung, sondern werden auch Einblicke geben in biographische Zusammenhänge, den künstlerischen Austausch, publizistische Vorgehensweisen und zeitgenössische Bewertungen.
Vorab richten wir den Blick auf den Ausstellungsort, der würdiger und passender nicht sein könnte. Denn er war Ort dieser Begegnungen und spricht heute – nach vollständiger, jahrelanger Rekonstruktion – seine Besucher auf vollkommen neue Weise an.
Frau Wasensteiner, die Liebermann-Villa steht architektonisch und gartengestalterisch in der Tradition der Land- und Künstlerhäuser. Hierzu waren Max Liebermann und seine Familie im regen Austausch untereinander und mit Freunden wie Alfred Lichtwark, dem Direktor der Hamburger Kunsthalle. Insbesondere die Gartengestaltung erwuchs aus einer Naturbetrachtung, die den Impressionisten Liebermann nachhaltig beschäftigte. Heute erlaubt die Webcam einen tagesaktuellen Blick auf den vorderen Garten und die wechselnden Lichtverhältnisse. Woran lässt Sie Ihr – fast täglicher – Blick auf den Garten und zu verschiedenen Jahreszeiten denken?
Liebe Frau Bomhoff, vielen Dank für die Gelegenheit, mit Ihnen über unsere Liebermann-Villa zu sprechen! Es ist mir natürlich eine große Freude, jeden Tag durch den Garten der Villa zu gehen – manchmal einfach auf dem Weg ins Büro, manchmal mit Gästen oder im Rahmen einer Führung. Ich denke dabei sehr oft an die Schönheit dieses Ortes, sei es im Hochsommer mit den wunderbaren Blumen, im Herbst mit den herrlichen Farben der Blätter, oder der Blick auf den nebelverhangenen See im Winter. Aber oft denke ich auch an die Liebe, die Hingabe und die Energie, die heute in diesen Garten gesteckt wird und mit der dieser Garten einst geplant wurde. Das, was so selbstverständlich für uns scheint, ist doch so fragil. Wir lesen in Liebermanns Briefen wie Liebermann mit Lichtwark den Garten bis ins letzte Detail durchdacht und geplant hat. Jede Pflanzenart und jeder Weg sind wohl überlegt. Später hat Liebermann seinen Garten immer wieder gemalt, ganz genau studiert und auf die Leinwand gebracht. Und dann – in der Zeit nach 1933 änderte sich alles ganz plötzlich – Liebermann und seine Frau waren verstorben, die Tochter Käthe und ihre Familie im Exil und der sorgfältig angelegte Garten zerstört. Das ist für mich immer wieder ein sehr ernüchternder Gedanke.
Heute natürlich, dank des Engagements der Max-Liebermann-Gesellschaft und ihrer vielen Unterstützer, strahlt der Garten wieder. Aber ich weiß auch, wie viel Arbeit dahinter steckt, wie viele Stunden unser Gärtner und sein ehrenamtliches Team hier investieren; und wie hart das Museumsteam arbeitet, um Besucherinnen und Besuchern diese Einzigartigkeit zugänglich zu machen! Das geht mir oft durch den Kopf, wenn ich durch den Garten gehe.
In seiner 1923 bei Bruno Cassirer veröffentlichten Liebermann-Biografie beschreibt Erich Hancke das 1899 neu bezogene Atelier am Pariser Platz: „Das neue Atelier war geräumig und hell, aber nicht sehr gemütlich und erinnerte etwas an die schattenlosen Glashäuser der Photographen.“ Im Maleratelier und im Fotostudio dieser Zeit gehörten Lichtwirkungen zu den entscheidenden Voraussetzungen. Am Wannsee jedoch scheint Liebermann ab 1910 hauptsächlich Pleinair zu arbeiten und den dortigen Atelierraum sporadisch zu nutzen. Haben sich die unterschiedlichen Qualitäten und Funktionen seiner beiden Ateliers am Wannsee und am Pariser Platz bestätigt?
Es stimmt schon, dass das Atelier am Wannsee anders wirkt. Im Vergleich zu Liebermanns Atelier am Pariser Platz, das eher den Charakter des 19. Jahrhunderts trägt, wirkt die Villa am Wannsee viel moderner. Besucher waren beinahe entsetzt von der Nüchternheit und von der kargen Ausstattung des Ateliers. Erich Hancke, Liebermanns Biograf meinte einst „[…] das ist die Ungemütlichkeit selbst […]“.
Aber – er hat viel in seinem Atelier am Wannsee gearbeitet, auch wenn es aus den Bildern nicht unmittelbar hervorgeht. Er überarbeitete hier seine im Freien entstandenen Werke und hat auch Porträts gemalt. Zum Beispiel das Bild von Martha und Maria, welches heute bei uns zu sehen ist. Das Bild befand sich übrigens einige Jahren in der Sammlung der Familie Ullstein.
Die Geschichte dieses Kunstwerks stellen Sie in Ihrer aktuellen Ausstellung zur Provenienzforschung vor: Wenn Bilder sprechen.
Ja, das Familienbildnis Großmutter und Enkelin ging im Jahr 1923, ein Jahr nach seiner Entstehung, in den Besitz der Familie Ullstein über. In der Zeit von 1933 bis 1945 blieb das Bild im Besitz der Ullsteins. 1938 ging die Familie Ullstein ins Exil; den Zweiten Weltkrieg überstand dieses Gemälde im Keller des Ullsteinhauses in Berlin-Tempelhof. Nachdem Karl Hans Ullstein (1893-1964) in den 1950er Jahren aus den USA zurückgekehrt war, fand er es dort stark beschädigt vor. Ein als Maler tätiger Freund wurde damals mit einer provisorischen Restaurierung beauftragt. Nach Karl Hans Ullsteins Tod 1964 ging das Bild in den Besitz seiner zwei Kinder über. Sein Sohn Hans nahm es Ende der 1960er Jahre erst mit nach London und Mitte der 1970er nach New York. 2008 wurde das Werk durch die Ernst von Siemens Kunststiftung für den ständigen Verbleib in der Liebermann-Villa am Wannsee erworben und daraufhin fachgerecht restauriert.
Ein wesentlicher Teil des Hauses am Wannsee war die Kunstsammlung Liebermanns. Die Bilder, mit denen er sich umgab, sind gleichzeitig eine Hommage an Künstler wie Edgar Degas, Claude Monet, Edouard Manet. Sie spiegeln auch die Bedeutung der Zeichnung für Liebermanns eigenes künstlerisches Schaffen wider. Er nennt sie „Hieroglyphenschrift“ und verweist auf das entscheidende „Verhältnis des Künstlers zur Natur“ (Max Liebermann, Reden zur Ausstellungseröffnung der Akademie, 1921). Wie lässt es sich, auch vor dem Hintergrund seines Lebens am Wannsee, beschreiben?
Die Natur hatte für Liebermann zeitlebens einen hohen Stellenwert. Zu Beginn seines künstlerischen Schaffens löste er sich immer mehr von der Genremalerei – von Gemälden mit einer tiefgründigen Botschaft – um sich auf das Leben zu konzentrieren, so wie es wirklich war. Dies zeigt sich schon früh mit seinen Bildern aus den 1870er Jahren zum Beispiel, die ihn zum sogenannten „Apostel der Hässlichkeit“ kürten.
Und dann, als das 19. zum 20. Jahrhundert wird, als sich die Künstler um ihn herum von der reinen Naturdarstellung lösen und in die Abstraktion gehen, bleibt Liebermann seinen naturalistischen Darstellungen treu. Natürlich sprechen wir hier aber nicht von Fotorealismus. Die Kunst eines Künstlers, so Liebermann, sei vielmehr die Fähigkeit, die Natur subjektiv darzustellen. So schrieb er 1921 wie folgt: „Je naturalistischer ein Künstler ist, je mehr er auch die Natur abzuschreiben scheint, desto weniger tut er es. Der geborene Maler [...] malt nicht die Wirklichkeit, sondern die Vorstellung von der Wirklichkeit: er malt die subjektive Natur [...] je größer und stärker die ihm eingeborene Kraft, d. h. sein Genie, ist, umso subjektiver, umso mehr wird er seine Natur, d. h. sich ins Bild hineinmalen.“
Diese Überzeugung spiegelt sich auch in seiner eigenen Kunstsammlung wider, unter anderem in den Werken, die er in der Villa am Wannsee aufhing. Zum Beispiel das Reiterporträt von Edouard Manet, das prominent in der Eingangshalle hing. Es zeigt einen Mann sitzend auf einem Pferd. Die Darstellung ist völlig reduziert auf das Wesentliche. Hier überlagern Farbe und Form alle Details, sodass diese in den Hintergrund rücken.
Über viele Jahre hinweg war das Haus am Wannsee Mittelpunkt der Familie, abzulesen an einer Vielzahl von Werken Liebermanns, die auch seine Ehefrau Martha, seine Tochter Käthe und später seine Enkelin Maria im Garten oder im Haus porträtieren. Welche der Wannsee-Bilder gehören zu Ihren Favoriten?
Das ist eine schwierige Frage! Mir gefallen die frühen Gartenwerke – sie sind fast zaghaft, zurückhaltend und man kann wirklich spüren, wie Liebermann seinen Garten langsam kennenlernt. Aber wenn er dann so richtig in Fahrt kommt, sind die Werke so farbkräftig, dass sie schon fast ins Abstrakte gehen. Die mag ich besonders gerne. Und auch die Gartenbilder, die er in den 1930er Jahren malte, als Deutschland sich ins Unglück stürzte und als bei ihm persönlich auch einiges aus den Fugen geraten war. In dieser Zeit macht er trotzdem weiter und malt seinen wunderschönen Garten. Das sagt uns natürlich viel über seine Persönlichkeit – wie viele seiner Zeitgenoss*innen konnte er die Entwicklungen in seinem Land einfach nicht glauben.
Zahlreiche Gäste und Künstlerkollegen besuchten Max Liebermann am Wannsee: Gustav Pauli entdeckte hier die Zeichnung Birken am Ufer (1918) und erwarb sie für die Hamburger Kunsthalle, Olaf Gulbransson durchschwamm den Wannsee anlässlich seiner Ankunft bei Liebermann, Albert Einstein, Gerhart Hauptmann und Max Friedländer gratulierten zum Geburtstag. Was bewegt und interessiert die heutigen Besucherinnen und Besucher?
Ich glaube unsere Besucher*innen sind fasziniert von der besonderen Mischung an Erlebnissen, die man in der Liebermann-Villa haben kann. Sie hinterlassen oft sehr berührende Widmungen in unseren Gästebüchern. Sie sind dankbar, dass dieser Ort heute so erhalten geblieben ist und gepflegt wird. Die Geschichte der Familie Liebermann und des Sommerhauses ist natürlich so tragisch, so unrecht – aber der Ort ist wunderschön und ruhig. Wenn man an einem Sommertag im Garten steht, aber die Geschichte kennt – dieser Eindruck ist zutiefst bewegend.
Welche Pläne und Wünsche haben Sie für die nahe und für die ferne Zukunft der Liebermann-Villa am Wannsee?
Im kommenden März zeigen wir die wunderbaren Porträtfotografien zu Liebermann aus der Sammlung Ullstein. Wir freuen uns sehr, dass diese Kooperation mit Ihnen zustande kam! Den Kern dieser Ausstellung bildet eine Auswahl an fotohistorisch aufschlussreichen Originalabzügen aus Ihrem Bestand. Darunter finden sich u.a. Fotos von Yva, Nicola Perscheid, Frieda Riess und Erich Salomon. Wir möchten im Rahmen der Ausstellung gerne die Geschichte der einzelnen Lichtbildkünstler*innen erzählen und die Begegnung mit Liebermann in den Fokus rücken. Wie auch die Geschichte des Ullstein Verlags sind einige der in der Ausstellung präsentierten Biografien eng verbunden mit Verfolgung, Exil, Widerstand und politischer Anpassung.
Nach der Fotoausstellung folgt im Sommer eine Ausstellung mit Studierenden der Universität der Künste. Wir laden die Malereiklasse von Professorin Christine Streuli dazu ein, site spezifisch bei uns in der Liebermann-Villa zu arbeiten. Da Liebermann zeitlebens so viele junge Künstler unterstützt hat, nehmen wir uns sein Engagement zum Vorbild und zeigen dieses Jahr junge Kunst aus Berlin bei uns in der Villa.
Im Herbst folgt ein großartiges Projekt zur Kunsthistorikerin, Kunstsammlerin und Kunsthändlerin Grete Ring. Sie arbeitete als Geschäftspartnerin im Kunstsalon Paul Cassirer und war im Berlin der 1920er Jahre als Kunsthistorikerin und Kritikerin hoch angesehen. Aufgrund ihrer jüdischen Herkunft musste Ring im Jahr 1937 Deutschland verlassen. Ein Jahr später eröffnete sie die Londoner Filiale der Firma Cassirer und setzte in Großbritannien ihre Arbeit als Kunsthändlerin und Kunsthistorikerin erfolgreich fort. Die Ausstellung wirft neues Licht auf Rings bahnbrechende Karriere zwischen Berlin und dem Londoner Exil. Wir freuen uns auch, dass wir eine Auswahl von Werken aus Rings Privatsammlung zeigen können. Diese Sammlung wurde in Deutschland aufgebaut und befindet sich heute im Ashmolean Museum in Oxford – das Ashmolean wird unser Projektpartner für die Ausstellung sein.
Die kommenden Projekte zeigen eigentlich schon recht gut unsere Pläne für die Zukunft – wir wollen das Thema „Liebermann“ breiter interpretieren, und auch mit dem heutigen Berlin verbinden. Die Liebermann-Villa bekommt keine staatliche Grundförderung und finanziert sich zu 80% durch Eintrittskarten und Mitgliedsbeiträge der Max-Liebermann-Gesellschaft, insofern ist es uns sehr wichtig, dass wir gesellschaftsrelevante Inhalte aufgreifen, das Publikum für die Liebermann-Villa begeistern, Neugierde wecken und zum Besuch anregen.
Vielen Dank, Frau Wasensteiner, für dieses Gespräch!
Das Interview führte Dr. Katrin Bomhoff, ullstein bild collection.
Erstveröffentlichung am 20.12.2022
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