Ullstein und die Pressefotografie
Publikation Archiv der Akademie der Künste Berlin
Die fotografische Sammlung Ullstein bei ullstein bild / Axel Springer Syndication GmbH
Berliner Archivrundschau 2024: Pressefotografie in Berliner Archiven
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„Ein Teil meiner Bilderbeute scheint mir trotz der dahineilenden Zeit Dauerwert zu besitzen, und so mag diese Auswahl von Personen, Augenblicken und historischen Situationen für das Gedächtnis aufbewahrt sein.“ (Dr. Erich Salomon)
Die Handschriften mehrerer Generationen und Epochen, auf kleinstem Raum vereint und mit einem Ziel: ein geschlossenes, universales System zeitgeschichtlicher Themen zu entwerfen und es unablässig zu erweitern. Die umfassende Kartei des Ullstein-Fotoarchivs in Berlin beschreibt stichwortartig seit Anfang des 20. Jahrhunderts ausgewählte Themenschwerpunkte und funktioniert gleichzeitig wie ein Türöffner – bis in die heutige Zeit. Denn sie verschafft uns Einblicke in das Entstehen und die Fundorte eines weltweit einzigartigen Bestandes zur Pressefotografie. Mindestens ebenso unverzichtbar: der Blick in die Ullstein-Publikationen. Nicht nur, weil sie Zeit-, Mediengeschichte und ganze Innovationsschübe widerspiegeln, sondern auch, weil sie die Bildthemen in einen Zusammenhang bringen. Die rückblickenden Worte des Ullstein-Chefredakteurs Kurt Korff verdeutlichen die Ausgangssituation und den Anspruch des Verlags zur Zeit der Weimarer Republik:
„Aber erst in einer Zeit, in der das Leben durch das Auge eine stärkere Rolle zu spielen begann, war das Bedürfnis nach visueller Erfassung so stark geworden, daß man dazu übergehen konnte, das Bild selbst als Nachricht zu verwenden. Das bedeutete eine völlig neue Einstellung dem Bild gegenüber. Es ist kein Zufall, daß die Entwicklung des Kinos und die Entwicklung der ‚Berliner Illustrirten Zeitung‘ ziemlich parallel laufen. … Nicht jedes Bild vermittelt ohne weiteres den gewollten starken Eindruck. Vielmehr muß das Bild stärkste Konzentration besitzen, muß eine Situation auf ihrem Höhepunkt fassen. Dann aber erreicht es auch unter Umständen eine Wirkung, die jedem noch so beredten Text unerreichbar bleibt.“ [1]
Protagonisten im Berliner Ullstein Verlag
Ideengeber wie Kurt Korff, der künstlerische Direktor Kurt Safranski und die Verlegerfamilie begleiteten Ullstein bis 1933 durch eine unternehmerisch erfolgreiche Zeit, in der die „Berliner Illustrirte Zeitung“ Millionenauflagen erreichte und eine Vielzahl weiterer Titel in's Leben gerufen wurde: „Die Dame“, „Querschnitt“, „Tempo“, „B.Z. am Mittag“, „Berliner Morgenpost“, „Bauwelt“, „Uhu“, „Koralle“, „Grüne Post“ und andere mehr. In der Konsequenz für die Pressefotografie vereinten sich hier mehrere entscheidende Voraussetzungen. Die redaktionelle Zusammenarbeit prägte ein oft langjähriger und intensiver Austausch. Mit der Auswahl erstrangiger Fotografinnen und Fotografen wie Erich Salomon oder d’Ora (Dora Kallmus) ging für Ullstein das verbriefte Erstrecht ihrer Werke einher. Denn der Verlag war vehement daran interessiert, sie an sich zu binden. Vor allem in den 1920er Jahren erschloss sich mit dem Fotojournalismus die Möglichkeit, aus einem Atelier in guter Lage heraus die Auftraggeber zu erreichen und auch die relevanten Publikationen zu beliefern. Für Bildautoren wie Karl Schenker, Yva (Else Neuländer-Simon), d’Ora, Cami und Sasha Stone oder Frieda Riess ein entscheidender Aspekt ihrer Arbeit und der Weiterentwicklung ihres Werks.
Reportage und Weltreise
Vor Ort, in der wachsenden Metropole Berlin, und auch auf ausgedehnten Reisen entstanden wegweisende Reportagebilder und -themen. Ein Beispiel hierfür ist Kurt Lubinskis „Expedition nach Abessinien, eine journalistische Entdeckungsfahrt“. [2] Dr. Arthur Bernstein benennt den Zusammenhang in einem Text von 1927: „Diesen Fahrten in die weite Welt waren Entdeckungen kaum minder interessanter Art in Berlin vorausgegangen, aus den Besonderheiten der Zeit geboren und durch sie von einem Werte als geschichtliche Urkunde.“ [3] Die gezielte Welterkundung galt für Schreibende und Bildschaffende des Verlags, und nicht selten waren die Grenzen fließende, Fotografien und Texte entstanden zeitgleich. Auf der anderen Seite, im Verlagshaus, wuchsen neben dem Fotoarchiv, das auch die Möglichkeit der Wiederverwendung der Aufnahmen sicherte, die Bildredaktionen der Zeitungs- und Zeitschriftentitel. Sie alle einte das Bewusstsein eines journalistischen Konzepts „als ein Spiegel der Zeit, die ist, und ein Werk der Vorbereitung auf die Zeit, die kommen wird.“ [4]
Die Anfänge der Pressefotografie
Doch nicht erst zur Zeit der Weimarer Republik, bereits mit den Anfängen der Pressefotografie entstand bei Ullstein der enge Kontakt zu Fotografen wie Zander & Labisch, Robert Sennecke, Waldemar Titzenthaler oder Georg und Otto Haeckel. Letztere stehen für die erfolgreiche Pressebildagentur des frühen 20. Jahrhunderts mit dem Anspruch weltweiter Geschäftsbeziehungen. Die beiden Brüder, gebürtig aus Schlesien, etablierten ihre Fotografie und ihre Agentur ab 1905 in Berlin, der aufstrebenden Medienmetropole. Sie begleiteten politische Ereignisse wie die Novemberrevolution, arbeiteten als Kriegsfotografen im Ersten Weltkrieg und porträtierten das gesellschaftliche Leben. Sei es Wirtschaft, Politik, Sport, Architektur oder Alltag, keine Sparte blieb von den Anforderungen der aktuellen Publikationen ausgeschlossen. Mehrmals täglich erscheinende Zeitungstitel aus mehreren Berliner Verlagen forderten täglich neues Bildmaterial und die „Momentphotographie“ nahm sie zum Anlass für ihr eigenes Arbeitsfeld. Jahrzehnte später gelangte auch der Nachlass der beiden Haeckel-Brüder zum Ullstein Bilderdienst, heute ullstein bild. Er umfasst ca. 12.000 originale Kontaktabzüge und ca. 16.000 Glasnegativplatten der Fotografen. Eine Schenkung an ullstein bild aus jüngster Zeit – ein wichtiger Teilbestand, der hier derzeit gesichtet und bearbeitet wird – bestätigt die Bandbreite der Themen und die Qualität der Werke von Haeckel. Ihr eigenes Logo „Photographien aus aller Welt“ wurde zum Programm und charakterisiert einen der relevantesten Bestände zur deutschen Pressefotografie. [5]
Schwieriger wird es, zu sprechen von den Fotografien der Sammlung Ullstein, zu denen es keinen einzigen Urheberhinweis gibt und die doch von großer Aussagekraft sind, und von den bislang immer noch wenig erforschten Bereichen und Bildautoren. Conrad Hünich, Ernst Schneider, John Graudenz – Fotografennamen, hinter denen sich professionelle und experimentierfreudige Autoren aus dem ersten Drittel des 20. Jahrhunderts verbergen.
Einschnitte und Neubeginn
Erst der Bruch der 1930er Jahre setzte mit dem Aufkommen des Nationalsozialismus dieser Entwicklung des Fotojournalismus ein Ende. Berufsverbot, Emigration und Verfolgung bestimmten die Lebensläufe vieler Ullstein Mitarbeiter, der Ullstein Familie und vieler Fotografinnen und Fotografen. Obwohl der Name Ullstein bis 1937 beibehalten wurde und etliche Bildautoren den Verlag weiterhin belieferten, lassen die Publikationen keinen Zweifel an der Propagandamaschine, die hinter ihnen stand. Unter neuen Vorzeichen und erheblichen Mühen gelang den vormaligen Ullstein-Partnern Kurt Safranski, Kurt Kornfeld und Ernst Mayer in New York die Gründung der Bildagentur „Black Star“, mit der ein neues Kapitel der Fotogeschichte begann und von der die amerikanischen Publikationen wie „Life Magazine“ und „Time“ erheblich profitierten – in dem Wissen um eine elementare Berliner Ullstein-Zeit. Die aktuellen Interviews mit der Buchautorin Phoebe Kornfeld [6] und mit dem Kunsthistoriker Christian Joschke [7], Beaux Arts de Paris, von 2022 bzw. 2023 geben einen Eindruck von der aktuellen Erforschung dieses Themenfelds und vermitteln Hinweise auf neueste Erkenntnisse.
Möchte man von so etwas wie einem „Kernbestand“ bei Ullstein sprechen, darf auch die Nachkriegszeit nicht unberücksichtigt bleiben. In den 1950er Jahren öffnete sich der Ullstein Bilderdienst für den externen Markt, bald unter der Flagge von Axel Springer. Auf die Restitution der Ullstein Familie war die Übernahme durch den Hamburger Jungunternehmer erfolgt. Zu den Beispielen für einen relevanten, umfassenden Teilbestand bei Ullstein zählen die Fotografien von Fritz Eschen, die die Stadt Berlin nach dem Zweiten Weltkrieg in nahezu allen Facetten schildern. Die jüngere Forschung hat dankenswerterweise seine Biografie und sein Werk in einen erhellenden Zusammenhang gebracht. [8] Für die folgende Entstehungszeit lässt sich zurückgreifen auf die Werke von Fotografen wie Claude Jacoby, Jochen Blume, Rudolf Dietrich oder Paolo Costa. Und auch darüber hinaus gilt: Neuentdeckungen bleiben eine feste Größe, mit der bei Ullstein zu rechnen ist und die auf keinen Fall unterschätzt werden darf.
Wachsendes Interesse an Fotografie – und ein Blick in die Ausstellungen
Heute dankt ein vielseitig interessiertes Ausstellungspublikum der Präsentation der fotografischen Sammlung Ullstein. Die Originalwerke – Fotografien und Publikationen – bilden, zum Teil exklusiv, ein Fundament der Ausstellungen international renommierter Museen wie die Neue Galerie in New York, Centre Pompidou in Paris oder das Museum für Fotografie in Berlin. In Kooperation mit dem Deutschen Historischen Museum entstand 2017 „Die Erfindung der Pressefotografie – Aus der Sammlung Ullstein 1894-1945“. Eine Ausstellung, die anhand der Entwicklung der „Berliner Illustrirten Zeitung“ den reichhaltigen Fotobestand bei Ullstein und seine Bedeutung für die nationale und internationale Medienwelt in den Mittelpunkt rückte. [9] Monographische Ausstellungen zu den Fotografinnen d’Ora (Dora Kallmus), Nini & Carry Hess oder zu den Fotografen Willi Ruge und Karl Schenker verhelfen ihren Besuchern regelmäßig zu Einblicken in die jeweiligen Lebensläufe und die Schaffensbedingungen im Fotojournalismus. Und auch die Rolle der Fotografie innerhalb verschiedener Themenkreise findet Berücksichtigung: die Neue Sachlichkeit, das Kino der Moderne, die Fotografie der Weimarer Republik, die Begegnungen der Ullstein-Fotografen mit Max Liebermann oder sehr aktuell: die wechselvolle Geschichte des Zeichners und Presse-Illustrators Erich Ohser alias e.o.plauen bei Ullstein. [10]
Dr. Katrin Bomhoff, Asset & Exhibition, ullstein bild / Axel Springer Syndication GmbH
Erstveröffentlichung am 30. April 2024.
In der Galerie sehen Sie eine Bildauswahl zu unserem Thema, das entsprechende Dossier finden Sie bei ullstein bild.
[1] Hundert Jahre Ullstein 1877-1977, herausgegeben von W. Joachim Freyburg und Hans Wallenberg, Berlin 1977, Dritter Band, S. 184.
[2] 50 Jahre Ullstein 1877-1927, herausgegeben von Max Osborn, Berlin 1927, S. 185.
[3] Ebd.
[4] Ebd., S. 188.
[5] https://www.haeckel-foto.de/ (09. April 2024).
[6] https://www.axelspringer-syndication.de/artikel/interview-phoebe-kornfeld-de (09. April 2024).
[7] https://www.axelspringer-syndication.de/artikel/interview-christian-joschke (09. April 2024).
[8] https://www.axelspringer-syndication.de/artikel/fritz-eschen-bei-ullstein-bild (09. April 2024).
[9] https://www.axelspringer-syndication.de/artikel/die-erfindung-der-pressefotografie (09. April 2024).
[10] https://www.axelspringer-syndication.de/artikel/erich-ohser-alias-eoplauen (09. April 2024).