Warum STUDIO STONE?

Interview mit Charlotte Doyen, Kuratorin der Ausstellung Studio Stone im Musée de la photographie in Charleroi

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Frau Doyen, Sie haben die Ausstellung Studio Stone erfolgreich kuratiert, die nun bis zum 18. Mai 2025 im Musée de la photographie in Charleroi zu sehen ist, und ullstein bild / Axel Springer Syndication lieferte eine Reihe von Exponaten aus seiner fotografischen Sammlung. Außerdem können sich die Besucher über den umfangreichen und grundlegenden Ausstellungskatalog diesem Thema nähern. Studio Stone bringt Brüssel und Berlin in enge Verbindung, eine Art Ausgangspunkt für das Konzept. Welche Impulse waren ausschlaggebend für die Initiative zu dieser Ausstellung?

Die Ausstellung hat ihren Ursprung in Recherchen für ein anderes Projekt, das wir im Musée de la Photographie in Charleroi durchgeführt haben: die von Damarice Amao vom Centre Pompidou kuratierte Ausstellung Paris Photographie. Arme de classe. Die Ausstellung befasste sich mit „sozialer und engagierter Fotografie“ in den 1920er und 1930er Jahren in Frankreich und anderswo. Für Belgien wurden die Namen Cami und Sasha Stone schnell zu wichtigen Vertretern dieses Themas der sozialen Fotografie. Doch je weiter wir kamen, desto wichtiger schienen ihre Rolle in der Welt der Fotografie der 1920er und 1930er Jahre und ihre Wurzeln in Belgien zu sein. Dieser Wunsch, mehr über ihr Werk zu erfahren und ihre Verflechtung mit dem belgischen künstlerischen und politischen Milieu zu entdecken, war der Anlass für diese Ausstellung.

Aus unserer – Berliner – Sicht handelt es sich um eines der fortschrittlichsten Fotografenpaare seiner Zeit, daran lassen die Ullstein-Publikationen wie Berliner Illustrirte Zeitung, Uhu oder Die Dame keinen Zweifel. Neu ist, dass wir davon ausgehen können, dass der aufstrebende und wachstumsstarke Berliner Zeitschriften- und Zeitungsverlag Ullstein sich die Erstrechte an den Stone-Fotografien sicherte. Was machte Stone modern, was machte Stone erfolgreich?

Die Stones sind aus vielen Gründen moderne Fotografen. Einer davon ist, wie Sie erwähnen, dass sie viele ihrer Fotografien in Printmagazinen veröffentlichen. Ihr Artikel, Katrin Bomhoff, im Katalog Studio Stone erklärt das sehr gut. Einer der Aspekte ihrer Modernität ist, dass sie die schnell wachsende illustrierte Presse intensiv nutzen. Auch ihre Fotografien reagieren auf die ästhetischen Codes der Moderne. Lázló Moholy-Nagy beschreibt in seinem Buch Malerei. Photographie. Film einige Prinzipien dieser fotografischen Moderne: ungewöhnliche Perspektiven und Bildausschnitte, schräge Linien, starke Kontraste, Positiv-Negativ-Umkehrungen, Solarisation, Fotomontage, Nahaufnahmen oder singuläre Details – alles Merkmale, die sich in den Bildern der Stones wiederfinden. Berühmt und erfolgreich wurden sie auch durch ihre auffällige Präsenz auf den großen Ausstellungen der modernen Fotografie Ende der 1920er Jahre. Ihre Fotografien wurden weithin gesehen, und sie wurden zur treibenden Kraft bei der Verbreitung der Ästhetik des Neuen Sehens, wobei sie die ihnen zur Verfügung stehenden modernen Mittel nutzten.

Die Ausstellung war für ullstein bild unter anderem Anlass für die Neuzuschreibung von Originalfotografien aus der Sammlung Ullstein als Stone-Fotografien. Die Neubetrachtung der New Yorker Selbstporträtserie des Künstlerpaares bei Ullstein war ein echter Gewinn! Wir haben einige Fotografien neu oder erstmalig digitalisiert und in den richtigen Kontext gestellt. Und wir konnten Carl Schnebel (1874-1942), Mitglied des künstlerischen Beirats bei Ullstein, dank der originalen, handschriftlich notierten Arbeitsprozesse identifizieren. Welche Neuerungen brachten die Vorbereitungen in Charleroi für die Ausstellung mit sich, zu welchen neuen Erkenntnissen sind Sie gekommen?

Da sowohl das Musée de la Photographie in Charleroi als auch das AMSAB-ISH in Belgien liegen, haben wir uns bei unseren Recherchen auf das Land konzentriert, wobei sich eine Reihe neuer und ergänzender Aspekte ergeben hat. Zahlreiche belgische historische Archive enthielten Informationen oder Fotos über die Stones, die zuvor unbekannt waren. So konnten wir beispielsweise Bilder des belgischen Parlaments aus dem Jahr 1930, die in den Archives de la Ville de Bruxelles aufbewahrt werden, mit einer Publikation aus der gleichen Zeit abgleichen. Diese Publikation enthält Porträts von belgischen Politikern und Ansichten des Parlaments, die von Stone aufgenommen wurden. Die Porträts befinden sich zum Teil in der Sammlung Amsab-ISH. Es ist interessant, dass wir diese Originale finden konnten. In den BOZAR-Archiven in Brüssel fanden wir auch die Korrespondenz zwischen Stone und den Verantwortlichen für die Ausstellungen in den 1930er Jahren sowie viele ihrer Fotos. Diese Bilder und Briefe erzählen uns mehr über die zahlreichen Interaktionen zwischen Cami und Sasha Stone und der belgischen Kunstwelt der Jahre 1930-1939. Die Forschung hat uns auch die offensichtlichen Verbindungen zwischen der belgischen Arbeiterpartei und dem fotografischen Werk der Stones und dessen Verbreitung in Parteizeitungen gezeigt. Hier gibt es noch viel zu entdecken.

Die Nähe Stones zu journalistischen Publikationen ist in der Forschung seit längerem bekannt. Eckhard Köhn konstatierte als entscheidende Voraussetzung der Werke ihre Modernität „auch indem sie sich zu ihrer Herkunft als journalistische Auftragsarbeit bekennen“.

Ja, es gibt eine belgische Publikation, die diesen Punkt sehr gut veranschaulicht. Es ist die wöchentliche Publikation des Palais des Beaux-Arts in Brüssel, das Bulletin du Palais des Beaux-Arts, in dem die Stones ihre Bilder veröffentlichen. Diese Bilder tragen sehr oft den Untertitel: 'Reportage photographique Stone', wobei der fotografische und journalistische Auftrag sehr deutlich wird.

In dem Werk Stones gibt es beeindruckende, sprechende Beispiele für die Bedeutung fotografischer Experimente zu seiner Zeit: Fotomontage, Retusche, Verfremdungseffekte.

Ja, Sasha Stone spricht darüber in einem Artikel, der 1928 in Das Kunstblatt veröffentlicht wurde und in dem er die Bedeutung dieser fotografischen Forschung hervorhebt, indem er das Verständnis des Lichtspektrums und der „Fotografie als Kunst“ in Frage stellt, insbesondere dank der Fotomontage. In ihren Fotografien spürt man den echten Wunsch, den besten Blickwinkel zu finden, oder ein Licht, das das Motiv (Architektur, Mensch, Detail) perfekt moduliert, oder einen dynamischen Bildausschnitt. In der Ausstellung sind auch viele Beispiele für Retuschen zu sehen: von „einfachen“ ästhetischen Retuschen an Porträts bis hin zu „Maskierungen“ mit dem Ziel der deutlichen Veränderung eines Bildes. Cami und Sasha Stone setzen alle ihnen zur Verfügung stehenden Verfahren ein, um die gewünschten Effekte zu erzielen. Es gibt auch einige Beispiele für das Beschneiden von Fotografien, bei denen das Bild durch Verkleinern der Aufnahme dynamischer gestaltet wird.

Frau Doyen, werden wir diese gelungene Ausstellung auch in Berlin sehen? Wir hoffen!

Das hoffen wir auch! Wir arbeiten derzeit mit dem Amsab zusammen, um die Ausstellung auf Tournee zu schicken, und angesichts des künstlerischen Werdegangs der Stones ist es klar, dass Berlin die am besten geeignete Stadt wäre, um sie zu zeigen.

Herzlichen Dank!

Vielen Dank, Frau Doyen, für dieses Gespräch!

 

Fragen: Dr. Katrin Bomhoff, ullstein bild collection.

Erstveröffentlichung am 20. Februar 2025.

In der Galerie sehen Sie eine Auswahl der Originalfotografien aus der ullstein bild collection und Ausstellungsansichten mit den Ullstein-Exponaten (© Musée de la Photographie Charleroi).

Das entsprechende Dossier finden Sie bei ullstein bild.

Kontakt

Dr. Katrin
Bomhoff
Senior Manager Asset & Exhibition
+49 30 2591 73164
(c) Georges Verly
Charlotte
Doyen
Ausstellungskuratorin, Musée de la photographie in Charleroi