Willi Ruge
Pressefotograf bei Ullstein
Zur Ausstellung „Willi Ruge – Fotoaktuell“ bei C/O Berlin ab 15. September 2017
Die Bestandsaufnahme bei ullstein bild aus der Gründungszeit der fotografischen Sammlung Ullstein in Berlin verzeichnet unter der Überschrift Willi Ruge eine Reihe formvollendet handgeschriebener Dokumente aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Sie tragen Notizen zu den Bildmotiven und –serien des Fotografen, die sich lesen wie die Titel eines auf puren Spannungsreichtum ausgelegten Reiseberichts: „Meine gefährlichste Aufnahme! – knipst seinen eigenen Fallschirm-Absprung. Mit Caracciola über die Avus. Aufnahmen aus Pernambuco. Der Krieg um den Gran Maco. Gauchos zähmen Wildpferde in der argentinischen Pampa. Sind Sie ein Detektiv? Kap-Kairo, wie noch nie! 24 Stunden Vollgas – und die Familie hilft mit. Wasser-Springer – in der Luft gebremst. Mut – vielfach erprobt.“
Die Notizen spiegeln nicht nur unterschiedlichste Bildreportagen wider, sondern auch die redaktionelle Erarbeitung dieser Themen, sie sprechen von dem Zusammenspiel mehrerer Kräfte unter dem Dach des zu dieser Zeit führenden Zeitungs- und Zeitschriftenverlags Ullstein in Berlin: das fotografische Werk Willi Ruges, die Themenfindung der Redaktionen mit Blick auf ein breit gestreutes Lesepublikum auflagenstarker Zeitungspublikationen wie die Berliner Illustrirte Zeitung – 1905-1933 unter ihrem Chefredakteur Kurt Korff – und nicht zuletzt die Auftragslage. Sie vermitteln gleichzeitig das Themenspektrum, mit dem Willi Ruge bekannt wurde und Aufsehen erregte. Nicht umsonst wird er zeitgenössisch bei Ullstein als „Flieger und Fotograf“ tituliert, seine Aufnahmen während des eigenen Fallschirmabsprungs in Staaken bei Berlin sprechen von dem Wagemut dieses Selbstversuchs. Sie erinnern an die Ikonographie vom Sturz der Himmelsstürmer, der hier eine neue und moderne Ausdrucksform erfährt: die Folgen des Ikarus-Fluges, visualisiert dank eines fotografischen Experiments. Es verwundert nicht, daß eine Fotoserie eigenwilliger Flugversuche in der Berliner Illustrirten Zeitung von 1934 vorgestellt wird mit der Bildunterschrift „Der Traum des Ikarus, mit den Mitteln modernster Technik“ und weiter: „Wirklichkeit geworden: Der erste Mensch, dem ein Flug aus eigener Körperkraft gelang.“
Auch mit anderen Unternehmungen Ruges verknüpft sich die progressive und gestaltende Arbeitsweise des Fotografen: die 1931 aus dem fahrenden Rennwagen Rudolf Caracciolas heraus entstandene Bildserie demonstriert die extreme Wahrnehmung und Wiedergabe von Geschwindigkeit, die Verzerrung und Unbestimmbarkeit von Perspektive. Nicht nur das Autorennen, auch die direkte Umgebung wird zum Bildgegenstand.
Die mit der Inventarisierung bei Ullstein stichwortartig aufgerufene Gefahrenzone des Fotografen ist geprägt von mehreren Faktoren, die für ein Verlagshaus dieses Formats entscheidend bleiben: Aktualität, Nachrichtenwert, Attraktion und auch Sensation. Der Mitarbeiter Willi Ruge begibt sich im Auftrag von Ullstein auf eine Argentinien-Reise, entwirft Bildberichte zu einem Afrika-Flug oder widmet sich den Spitzenleistungen des olympischen Wintersports. Die Zeitungspublikationen gewähren folglich seinen Bildzyklen großformatig und großzügig angelegte Themenseiten. Allen voran die Berliner Illustrirte Zeitung mit Themenkreisen, die einerseits sportliche Höchstleistungen in verschiedensten Disziplinen und Elementen präsentieren, und andererseits Einblicke gewährt in Szenerien alltäglichen Lebens oder politische Entwicklungen. Dabei greift die redaktionelle Bearbeitung zu einem bewährten Mittel: der Bildmontage. Sportliche Rekorde werden im Vergleich visualisiert: Eisschnellläufer und Radrennsportler treten gegeneinander an, sogar Viererbob und Eisenbahn – Mensch und Maschine – nehmen es miteinander auf.
Die Publikation der Fotografien erfährt deutlich an Bedeutungsschwere, sobald sich die Ereignisse im nationalsozialistischen Deutschland am Militarismus des Regimes ausrichten, der in einem verheerenden Weltkrieg endet. Willi Ruge wird mit Arbeiten als Berichterstatter der Luftwaffe beauftragt. Der Bildbetrachter blickt nun auf die Welt durch den Sucher und das Fadenkreuz des Maschinengewehres, erfährt von den Einsätzen der Wehrmacht oder sieht sich einer Heroisierung der deutschen Flakabwehr gegenüber. Aus dem Flugexperiment wird martialische Aggression, aus dem wirkungsvollen Bildmotiv wird Propaganda – es herrscht Krieg.
Demgegenüber steht eine thematisch reichhaltige Auswahl von Bildmotiven aus der Zeit der Weimarer Republik, deren Modernität und Perspektiven die Betrachter damals wie heute faszinieren.
Impressionen der Ausstellung sehen Sie in unserer Bildergalerie (© ullstein bild).
Das vollständige Bildangebot finden Sie bei www.ullsteinbild.de.