Stefan Moses, von Perckhammer und mehr

Interview mit Dr. Kathrin Schönegg, Leiterin der Sammlung Fotografie des Münchner Stadtmuseums

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Frau Schönegg, Ihr Besuch in der fotografischen Sammlung Ullstein für die aufschlussreiche Buchpublikation zu Heinz von Perckhammer (1895-1965) galt dem umfangreichen Teilbestand – ca. 750 Aufnahmen – bei ullstein bild. Seine Fotografien sind zeitlich verortet in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus, und er gehörte offensichtlich zu den Profiteuren seiner Zeit. Er profitierte von den bahnbrechenden stilistischen Entwicklungen und Möglichkeiten der fotografischen Avantgarde der 1920er Jahre, und er profitierte von der Auftragslage auch unter einem nationalsozialistischen Regime, das das zuvor erworbene Wissen und Können für seine propagandistischen Zwecke einsetzte. Wie genau kam es zu dieser Art von exemplarischem Grenzgang?

Meine Arbeit an dem Thema liegt bereits einige Jahre zurück. Als Thomas-Friedrich-Stipendiatin habe ich 2017 ein Jahr lang ausgehend vom Perckhammer-Bestand der fotografischen Sammlung in der Berlinischen Galerie Leben und Werk des Fotografen aufgearbeitet. Im Fokus standen dabei seine aktiven Jahre als Bildberichter in Berlin, 1927 bis 1943. Im Sinne einer empirischen Grundlagenforschung zielte die Untersuchung darauf ab, Perckhammers Werk und dessen Arbeitsbedingungen zu erschließen: Einen Korpus an Bildern zusammenzutragen, Kontexte von Aufnahmen zu rekonstruieren, sie zu chronologisieren und zu datieren einerseits und Verlage, Bildagenturen sowie Vertriebswege zu recherchieren andererseits. 

Perckhammers Karriere ist in vielerlei Hinsicht exemplarisch für seine Zeit. Ende der 1920er Jahre etabliert er sich durch Akte und Reisebilder, die er während privater Fahrten aufnahm. Er dokumentierte Land und Leute, setzte architektonische und landschaftliche Signa ins Bild und porträtierte Berufsstände und Typen in ihrer jeweiligen Lebenswelt. Dann weitet die moderne Großstadt das Themenspektrum: Kaufhäuser, Mode und Gesellschaftsleben in Berlin sind nun ebenso vertreten, wie Berge, Kirchen und Skifahrer der Tiroler Heimat, die er regelmäßig besucht. Mit seiner Illustrationsfotografie, die aus Porträts, Akt- und diversen Genreaufnahmen bestand, bespielte er fotografische Fachzeitschriften, illustrierte Magazine und die Wochenpresse. (Sub)aktuelle Bildberichte und zusammenhängende Reportagestrecken, etwa von den Autorennen auf der Berliner Rennstrecke AVUS oder der Weltfahrt des Zeppelin, finden sich vor allem beim August Scherl Verlag. Nach 1933 lässt sich exemplarisch nachvollziehen, wie der feste Stamm der Bildlieferant*innen über die Jahre der NS-Herrschaft drastisch schrumpfte. Von Perckhammer ist bis 1941 beinahe wöchentlich mit wechselnd modern und völkisch anmutenden Genrebildern vertreten, die hier und andernorts explizit in den Dienst der Propaganda gestellt wurden.

Von Perckhammer profitierte davon, dass seine Themen sich scheinbar nahtlos in das veränderte soziopolitische Umfeld einfügen ließen: Auto- und Motorsport, das Gesellschaftsleben, die Mode. Einige alte und viele neue Bilder fügten sich in den Wertekanon des Nationalsozialismus und wurden genutzt um Ideologien wie die Heimat oder die Rassenreinheit zu illustrieren. Intendiert und inszeniert pendelte er formal und inhaltlich zwischen Land und Stadt, Tradition und Moderne. Wiederholt griff er dabei auf dieselben Fotomodelle zurück, die er wechselnd im sportlichen Wagen und moderner Kleidung oder umgekehrt vor einer Mühle und im Dirndl in Szene setzte. Viele Bilder muten als Schnappschüsse an, sind aber von langer Hand vorbereitet worden. Wie andere Kolleg*innen unterschied von Perckhammer nicht zwischen privaten und öffentlichen Aufnahmen und verkaufte beides an die Presse.

Die Fotografien Perckhammers verweisen zugleich auf die Verlagsgeschichte Ullsteins. Obwohl er umfangreiche Aufträge von Scherl erhielt, sprechen die Fotografien bei Ullstein – ab 1937: „Deutscher Verlag“ – von einer mehrjährigen Zusammenarbeit. Nicht nur frühe Arbeiten aus der Zeit seines China-Aufenthalts 1913-1927 sind bei ullstein bild zu finden, auch die Zeugnisse unterschiedlichster Reisen und Ereignisse späterer Jahre kommen hier zusammen. Ausgenommen sind große Teile seiner Kriegsberichterstattung. Welche Erkenntnisse lassen sich aus dieser Zusammenkunft von Presseverlag und Fotograf gewinnen?

Bildunterschriften belegen, dass Perckhammer für den Ullstein Konkurrenten August Scherl als Sonderfotograf tätig war. Der Verlag publizierte damals das Unterhaltungs- und Gesellschaftsblatt Sport im Bild (1895–1934), das nach der Gleichschaltung als Silberspiegel (1935–1944) fortgeführt wurde. Perckhammer ist von den späten 1920er Jahren bis in die 1940er Jahre dort fast in jeder Ausgabe vertreten. 

Wie viele Illustrations- und Reportagefotografen seiner Zeit arbeitete Perckhammer jedoch nicht exklusiv für Scherl, er bespielte mehrere Magazine und Verlage. Seine Bilder wurden weit vertrieben. Vor 1933 sind sie zum Beispiel auch in den Ullstein-Magazinen Die Dame (1911–1943) und Der Querschnitt (1921–1936) abgedruckt. Dies wurde entweder direkt über die Fotografen oder durch Agenturen gesteuert, die Bildmaterial teilweise auch Jahre nach der Aufnahme weiter distribuierten. So kommen sicherlich die Chinabilder in das Archiv, die aus den 1910er Jahren stammen, in Europa jedoch erst nach 1927, nach seiner Rückkehr aus Asien publiziert wurden. Über Perckhammer wissen wir heute, dass er mit den Agenturen Photo Globe (Frankreich), Culver Pictures (USA) und Schostal (Österreich) international zusammenarbeitete. Ob er direkte Aufträge von Ullstein erhielt, konnte ich seinerzeit leider nicht klären. Oftmals ist die schriftliche Quellenlage leider dürftig, Verlagsunterlagen sind verloren, so dass die Fotoobjekte die besten Ansatzpunkte zur Rekonstruktion der Geschichte geben. Im Falle Perckhammers war anhand diverser Bildrückseiten zu verifizieren, in welchen Magazinen seine Bilder publiziert wurden und damit auch mit welchen Verlagen er zusammenarbeitete. So bin ich damals auf den Ullstein-Verlag gekommen. Welche Art der Zusammenarbeit dies aber war – also wie exklusiv oder wenig exklusiv das Arbeitsverhältnis war, wie sich Entlohnung und (textuelle) Interpretation der vorgelegten Fotografien gestaltete, ob und wieviel Mitsprache die Fotografen dabei hatten – wissen wir oft nicht, da die Fotoobjekte über den Publikationsort und die -zeit hinaus oft keinen Aufschluss geben.

Perckhammers aktivste Zeit endet bald nach Kriegsausbruch. Er publiziert ab 1940 in der einschlägigen Auslandsillustrierten Signal (1940–1945), hier sind seine Bilder dann erkennbar mit dem nationalsozialistischen Pathos aufgeladen: Es werden starke Hell/Dunkel-Kontraste eingesetzt, Wolkengebilde dramatisch retuschiert und die gezeigten Soldaten durch Untersicht ideologisch überhöht. Im Œuvre von Perckhammer sind Aufnahmen wie diese aber in der Unterzahl. Nach 1939 zeichnet sich sein Werk vor allem durch vordergründig dokumentarische, formal unauffällige Aufnahmen aus, die er in besetzten Städten wie Danzig und Paris, aber auch an anderen Brennpunkten des Krieges fotografiert. Im Besonderen sind hier Bilder um 1941 zu nennen, die jüdische Insassen im Lubliner Ghetto und Sowjetsoldaten beim Gefangenentransport zeigen. Nachweislich wurden einzelne dieser Aufnahmen zur Feindbildkonstruktion in den Dienst des NS-Regimes gestellt. Danach endet seine publizistische Karriere, was den Rückschluss zulässt, dass er vor allem als Illustrations- und Reportagefotograf, nicht als Kriegsberichterstatter Erfolge feierte – auch, da das nicht tagesaktuelle Geschäft der Illustrierten Bilder forderte, die eine gewisse Offenheit mit sich brachten und die er – Pendler zwischen Tradition und Moderne – ideal beherrschte.

Zu einem anderen, in die Zukunft gerichteten Thema: Zum 100. Geburtstag des Fotografen Stefan Moses (1928-2018) planen Sie eine Ausstellung in München, sein Nachlass befindet sich im Münchner Stadtmuseum. Auch von diesem Bildautor hält ullstein bild in Berlin ein bemerkenswertes Konvolut, das auf die Zusammenarbeit zu Lebzeiten zurückgeht. Welche Schwerpunkte werden Sie im Rahmen der Ausstellungsarbeit setzen?

Das Münchner Stadtmuseum ist seit Anfang diesen Jahres wegen einer lange erwarteten, umfassenden Generalsanierung geschlossen. Die Sanierungsarbeiten sind bis 2031 angesetzt; während dieser Zeit haben wir keine festen Wechselausstellungsräume; es steht daher noch nicht fest, ob das Projekt tatsächlich in München gezeigt werden kann oder außerhalb der Stadt, in einem anderen der Fotografie gewidmeten Haus zu sehen sein wird. Das ist auch von den Partnerschaften abhängig, die wir in den kommenden Jahren schließen können.

Nachdem Moses Vorlass schon 1995 in unsere Sammlung Fotografie einging, gelang es meinem Vorgänger Ulrich Pohlmann nach dem Tod des Fotografen auch noch das restliche fotografische Werk an unser Haus zu holen. Im Gesamten handelt es sich um ca. 450 000 Negative und knapp 100 000 Abzüge aller Qualitäten (Ausstellungs- und Arbeitsabzüge, Baryt, PE, Digitaldruck). Aktuell sortieren wir den neuen Teilnachlass, um ihn dann mit dem Archiv Moses zu fusionieren und das gesamte Werk in den folgenden Jahren gezielt aufarbeiten zu können. Eine kommende Ausstellung muss sich dann auf die neuen Erkenntnisse stützen, die aus dieser Arbeit hervorgehen, insofern beschäftigt mich die Ausstellungskonzeption aktuell noch nicht so sehr. Was ich hoffe ist, dass sich aus dem neu eingegangenen Material von Moses Serien „Emigrant*innen“, „Masken“ und „Die großen Alten“ oftmals ein diverseres Geschlechterverhältnis rekonstruieren lässt, als es im bereits vorhandenen Material augenscheinlich war. Sicher wird das Verhältnis von Reportage und sogenannter Kunstfotografie eine Rolle spielen. Und ich bin gespannt, welche unvorhergesehenen – regionalen und überregionalen – Themen wir noch finden werden. Zuletzt habe ich eine Schachtel zu Fotografien vom Oktoberfest in der Hand gehabt, die mich aufgrund eines aktuellen Rechercheprojekts zu Scherzfotografien auf Jahrmärkten interessieren. Eine kommende Ausstellung muss jedenfalls über die im Jahr 2002 am Stadtmuseum gezeigte Retrospektive hinausgehen, zum Beispiel indem sie den Fokus stärker auf die Herstellungsbedingungen und Distributionskontexte von Moses Bildern lenkt, um so auch die bekannten Bilder mit neuem Blick betrachten zu können.

Reframing the Collection, die neue Forschungsseite der Sammlung Fotografie, die im Juni 2024 online ging, befasst sich gezielt mit den fotografischen Beständen des Münchner Stadtmuseums, erarbeitet neue Sichtweisen und neue Zusammenhänge. Nach welchen Kriterien und mit welchem Ziel gehen Sie bei der Entwicklung dieses Projektes vor?

Wir haben Reframing the Collection als Plattform konzipiert, die den digitalen Raum in seiner eigenen Medialität nutzt. Textbeiträge werden multimedial gestützt durch Audiokommentare und professionelle Videoaufnahmen. Die Seite ist der Form nach anti-chronologisch aufgebaut, wobei die einzelnen Beiträge untereinander über Stichworte verbunden sind, so dass nach Themen wie gedruckte Fotografie, Landschaftsbilder, Feminismus und ähnlichem sortiert werden kann. Sie wächst kumulativ an. Über die Jahre soll so ein rhizomartiges Netz entstehen, das ein immer wieder neues Bild der Fotografie unserer Sammlung gibt.

Das Vorgehen ist folgendermaßen: zu ausgewählten Konvoluten unserer Sammlung entstehen jeweils mehrere Einzelbeiträge, die aus inhaltlicher Perspektive das Konvolut vorstellen, aber auch einen methodischen und sammlungshistorischen Blick auf den Bestand werfen. Konkret heißt das, dass wir bislang wenig beachtete Konvolute und Fotograf*innen präsentieren und zugleich danach fragen, warum sie bislang unterrepräsentiert waren. Wie Objekte in Archiven sichtbar werden, ist ja eine übergeordnete, systemische Frage, die über den Einzelfall hinausgeht und bei der Entscheidung der Inventarisierung, der Verschlagwortung, der Digitalisierung beginnt. So wollen wir die Sammlung von ihren Rändern her betrachten und – mit selbstkritischem Blick – Übersehenes entdecken. 

Die Seite wird aktuell von den Stipendiat*innen der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung betreut. Sie ist mit vier Beiträgen von Clara Bolin online gegangen, die sich mit Lotte Eckener (1906–1995) beschäftigen; einer Fotografin und Verlegerin, die überwiegend am Bodensee tätig war, deren Werk aber wegen der Kategorisierung als angewandte Fotografie zu wenig beachtet wurde. Auch das Geschlechterverhältnis spielte hier eine Rolle. Die nächsten Beiträge folgen im Dezember diesen Jahres und sind von Christopher Lützen verfasst. Sie beleuchten die Fotografie des Münchner Fotografen Norbert Przybilla (1953–1996), der im queeren Kontext arbeitete, und hinterfragen die heteronormativen Strukturen, in die die Arbeiten in unserer Sammlungs- und Ausstellungsgeschichte eingeschrieben sind.

Vielen Dank, Frau Schönegg, für dieses Gespräch!

 

Fragen: Dr. Katrin Bomhoff, ullstein bild collection.

Erstveröffentlichung am 18. Oktober 2024.

In der Galerie sehen Sie eine Bildauswahl zu unserem Thema, das entsprechende Dossier finden Sie bei ullstein bild

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Dr. Katrin
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Leiterin der Sammlung Fotografie des Münchner Stadtmuseums